Mittwoch, 9. April 2008

Der Name des Spitzels

Es war einmal ein Stasispitzel, dessen Namen heute niemand wissen soll. Nennen wir ihn S.

S. schlich sich 1980 unter seinem bürgerlichen Namen bei der Jungen Gemeinde in Reichenbach ein, seine Freunde vom MfS nannten ihn "IM Schubert". Die hatten an ihrem jungen Spitzel viel Freude, schließlich konnten sie schon nach kurzer Zeit aufgrund seiner Berichte vier Staatsfeinde einsperren. Für die hervorragende Leistung zeigte sich die Stasi erkenntlich: Geld, Reisen, Kredite - das Spitzelhobby brachte S. ordentlich was ein.

Und so blieb er dabei. Aus dem Oberschüler S. wurde der Student S., sein neues Revier war die Studentengemeinde in Freiberg. "Im Alter von 22 wurde "Schubert" im Auftrag der Staatsmacht Christ." (Spon) S. ließ in Freiberg von dem Studentenpfarrer Klaus Goldhahn, einem "Zielobjekt" taufen - auch auf der Taufurkunde steht sein "richtiger" Name.

S. spitzelte bis November 1989 für die Stasi, wie vielen Menschen aufgrund seiner Berichte das Leben zur Hölle gemacht wurde, ist unbekannt. Denn nicht immer wurden Stasiopfer sofort verhaftet, verurteilt oder in den Westen abgeschoben (letzteres passierte wohl hauptsächlich der DDR-Oppositionsprominenz). Nach dem offenen Terror der Ulbrichtjahre setzte das MfS zunehmend auf die "Zersetzung" von "feindlich-negativen" Individuen und Gruppen.

Sandra Pingel-Schliemann beschreibt in ihrer Studie „Zersetzen. Strategie einer Diktatur“ Ziele und Strategien dieser Unterdrückungsmethode.

Zersetzungsmaßnahmen sollten "das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl eines Menschen untergraben, Angst, Panik, Verwirrung erzeugen, einen Verlust an Liebe und Geborgenheit hervorrufen sowie Enttäuschungen schüren - also all solche Gefühle, die einen Menschen unglücklich und unzufrieden machen."1

Und die Stasi hatte keinerlei Skrupel bei der Wahl ihrer Mittel. Strategien der Zersetzung gegen Individuen waren zum Beispiel das Inszenieren beruflicher Misserfolge, das Zerstören von Liebesbeziehungen, das Entfremden der Kinder von ihren Eltern, das Verbreiten von Gerüchten (Unterstellen einer Kooperation mit dem MfS z.B.), falsche ärztliche Gutachten (3-5% der DDR-Ärzte arbeiteten für das MfS),demonstratives Beobachten, Telefonterror oder das Kriminalisieren wegen unpolitischer Delikte.

Ein wesentliches Charakteristikum der Zersetzung war Anonymität - die Betroffenen selbst konnten die Verfolgungsmaßnahmen häufig nicht mit dem MfS in Verbindung bringen und selbst wenn sie es vermuteten, konnten sie es nicht beweisen oder sich dagegen zur Wehr setzen. In der Regel machten die Opfer andere für die Krisen verantwortlich, die Familie, die Freunde, Mitglieder aus der Oppositionsgruppe, was zu neuen Konflikten führte, weil die Vorwürfe unberechtigt waren.

Pingel-Schliemann: „Betroffene mussten sich gar von anderen vorwerfen lassen, das sie halluzinieren. In der Folge begannen sich einige selbst für „verrückt“ oder „krank“ zu erklären. Die Wirkung anonymer Verfolgung ist nicht zu unterschätzen. MfS-Mitarbeiter drangen zum Beispiel mit Nachschlüsseln in die Wohnung eines ihrer Opfer ein, um dort Gegenstände neu zu sortieren. Einmal verhängten sie die Bilder in der Wohnung von Frau R. Beim nächsten heimlichen Einbruch verstellten sie nur die Gewürzdosen in der Küche. Ein anderes Mal tauschten sie den Lieblingstee der Frau durch eine andere Sorte aus. Die Mitarbeiter kamen wieder und wieder. Sie ließen sich jeweils etwas Neues einfallen. So hängten sie auch die Handtücher in dem Badezimmer von Frau R. ab und ordneten die Blumentöpfe auf ihren Fensterbänken neu. Als Frau R. ihren Freunden von den Vorgängen in ihrer Wohnung erzählte, glaubten sie ihr nicht: “Wir konnten uns doch auch nicht erklären, warum einer die Handtücher abhängen sollte.“ ... Psychologen konstatieren: „Wer mit solchen Zersetzungsmaßnahmen bearbeitet wurde, war nicht nur irritiert, sondern hier begann ein Prozess der Realitätsdiffusion, der letztendlich eine Psychose auslösen konnte.“ 2 (S.196) Frau R., die als Ärztin am Anna-Hospital in Schwerin arbeitete, wurde auch in ihrer Berufsausübung massiv durch Mitarbeiter des MfS (der Chefarzt war IM) beeinträchtigt. Die Zersetzungsstrategie war -aus Sicht des MfS- erfolgreich. Wenige Monate nach dem politischen Umbruch in der DDR nahm sich Frau R. das Leben.

An die für diese Zersetzungsmaßnahmen notwendigen Informationen gelangte das MfS unter anderem durch die Arbeit seiner IM. „Es galt in der geheimpolizeilichen Arbeit immer der Grundsatz: den „schwächsten Punkt“ oder die „empfindlichste“ Stelle der verfolgten Person herauszufinden. Jedes Detail aus dem Leben einer oppositionellen Persönlichkeit, all ihre Stärken und Schwächen wurden für den Staatssicherheitsdienst von Interesse.“ (S.198)

IM wurden mit ganzen Fragekatalogen auf ihre Opfer angesetzt, darunter völlig Banales (Wo stellt X sein Auto ab?) aber auch viel Persönliches (Verhältnis zur Ehefrau, zu den Kindern, Verhalten und Kontakte der Ehepartner und Kinder).

Heute verstecken sich die Täter hinter der vermeintlichen Harmlosigkeit ihrer Handlungen. Ein paar Blumentöpfe verrücken, Tee austauschen, Handtücher umhängen - na und, alles kein Verbrechen, hat keinem geschadet, Schwamm drüber. Ein paar Informationen weitergegeben, die sich jeder hätte beschaffen können, was soll daran schlimm sein? Und sie kommen damit durch, das Verständnis für den „kleinen IM“ ist im Osten nahezu unbegrenzt.

Im Rahmen der Ausstellung „Christliches Handeln in der DDR“ wurde einer dieser IM, S., namentlich genannt. S. alias „IM Schubert“ streitet seine Arbeit für die Stasi nicht ab, er fühlt sich also verleumdet, sondern in seinen Persönlichkeitsrechten eingeschränkt. Und bekommt auch noch vor dem Zwickauer Verwaltungsgericht recht! Vorläufig.

Des Ex-Spitzels Anwalt Thomas Höllerich, Politiker der SED PDS Partei "Die Linke", fürchtet gar Pogrome gegen Ex-Spitzel:

"Irgendwann werden dann Horden von Menschen, die einen roten Stern und einen Aufdruck IM haben durch Reichenbach getrieben, weil das Geschichtsaufarbeitung ist." Hier im Original zu hören: http://www.mdr.de/laenderzeit/5365450.html

Wie viele Ex-IM gibt es, wenn Höllerich befürchtet, ganze „Horden“ von ihnen könnten allein durch das kleine Reichenbach getrieben werden? Sind die Täter von damals wirklich die Opfer von heute, nur weil einer von ihnen aus seiner Anonymität geholt wird?

Nein, die Täter von gestern haben keine Angst vor ihren Opfern. Sie brauchen die Anonymität, das Verschweigen ihrer Vergangenheit, um heute ungestört die Strippen ziehen zu können.


1) Sandra Pingel-Schliemann, Zersetzen. Strategie einer Diktatur. Berlin 2004, S.188.

2).Ebd. S.196

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Update: Das Landgericht Zwickau hat gestern die Verfügung gegen die Stasi-Ausstellung aufgehoben, weil der Ex-Stasispitzel S. gegen die falsche Partei geklagt hat. S. wird jetzt ein neues Verfahren anstrengen, Anwalt Höllerich droht schon mit der nächsten einstweiligen Verfügung.



2 Kommentare:

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